Scheinriese „Normalität“
Wenn man das letzte Schuljahr als „anstrengend“ bezeichnen würde, dann wäre das die Untertreibung des Jahrhunderts. Es war mehr als das: Auslaugend, herausfordernd, ermüdend. Für alle Beteiligten. Wir müssen nicht mehr darüber sprechen, was viele Lehrer(innen) geleistet haben, wie viele Schüler(innen) plötzlich ihr Lernen selbst gestalten mussten, wie viele Eltern sich zu Ersatzlehrer(innen) „befördert“ sahen. Auf dieser Grundlage ist es kein Wunder, dass der Ruf nach „Normalität“ in diesem Schuljahr riesig ist.
Aber wer Normalität fordert, muss ich auch die Frage gefallen lassen, was diese eigentlich genau besagt. Wenn Normalität bedeutet, dass Schüler(innen) nicht mehr in die Schulen fahren müssen, um dort stapelweise Arbeitsblätter abzuholen. Wenn es bedeutet, dass man sich endlich wieder in die Augen schauen kann, wenn man über aktuelle Themen spricht. Wenn es bedeutet, dass viel Wert gelegt wird, auf die Beziehung untereinander, auf einen langsamen, aber stetigen Neuanfang des Miteinanders. Dann, ja dann kann man nur hoffen, dass diese Normalität wieder Einzug erhält.
Mit Normalität werden aber oftmals noch andere, problematische Dinge gemeint. Neben dem schnellen Zurück zu Klausuren, Tests und Noten, heißt Normalität oft, dass nun wieder „richtig“ unterrichtet werden kann – und soll. Und richtig bedeutet: Weg mit dem Schnickschnack des Digitalen, hin zu dem, wie es mal war. Der Wunsch nach einer solchen Normalität ist riesig, aber es ist eben ein Scheinriese.
Postpandemische Bildung
Es kann gar nicht genug darauf hingewiesen werden, dass neben all den Defiziten, die die letzten eineinhalb Jahre aufgezeigt haben, vieles auch zum Besseren verändert worden ist. Natürlich sind wir nicht am Ende: Aber, dass die Digitalität und damit die Frage danach, wie diese in der Schule behandelt wird, überhaupt in das Zentrum der Diskussion kam, ist schon ein großer Fortschritt. Aus einem Nischenthema wurde ein Kernthema.
Denn Bildung im digitalen Wandel ist eben mehr als nur die Digitalisierung von Arbeitsblättern. Es ist allumfassend. Aus dem Grund ist es so wichtig, dass sich alle Beteiligten damit befassen. Ständig. Denn wir leben in einer digitalen Gesellschaft. Nun aufzuhören, das Ganze ernst zu nehmen, wäre, als würde man den Führerschein machen und dann 10 Jahren nicht mehr fahren. Verkehrssicherheit sähe anders aus.
Vielmehr ist nun die Zeit, an die postpandemische Bildung zu denken und sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die über den digitalen Notfallunterricht hinausgehen. Wie wollen wir in den Schulen digitale Plattformen so einsetzen, dass sie das Lernen der Schüler(innen) fördern? Welche von den dazu gewonnenen Fähigkeiten auf Seiten von Lehrer(innen) und Schüler(innen) können wir für die Schulen nutzen, um diese weiterzuentwickeln? Wie werden Fortbildungsformate gewährleistet, die Lehrer(innen) zeigen, was nun alles möglich ist?
Die letzte Frage ist gleichzeitig eine Aufforderung an die Politik. Denn auch die politischen Verantwortlichen dürfen nicht meinen, dass nun alles „einfach so“ wieder in einen Normalzustand zurückgeht. Es gilt vielmehr, die angestoßenen Entwicklungen mit allen Mitteln und Kräften zu unterstützen. Und das bedeutet in erster Linie, ein gutes Auge dafür zu haben, was nun wichtig ist – und was nicht. Lehrer(innen) und mit ihnen Schüler(innen) müssen nun unterstützt werden. Indem Formate und Angebote gestaltet werden, die die vorhandenen Ressourcen in Form von digitaler Didaktik, Methodik und Tools bedienbar machen. Und vor allem, indem alles Zusätzliche hintenangestellt wird.
Zurück in die Zukunft
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Entscheidung für oder gegen ein „Weiter so!“ in einigen Jahren rückwirkend als Scheideweg betrachtet werden wird. Wir haben nun die Chance, auf den Grundfesten der letzten Zeit ein neues Schulhaus zu bauen. Eines, dass die neue Zeit nicht als lästige Umgebung, sondern als Möglichkeit für Veränderungen ansieht. Dafür müssen wir dranbleiben! Es heißt nun also für alle: Bloß nicht nachlassen!
Dies ist ein Kommentar von Bob Blume. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.