YouTuber und Vollzeitlehrer? Wie geht das?
Es sind zwei Dinge, die Kai Schmidt eins gedanklich auf den Weg zu „LehrerSchmidt“ gebracht haben: Nicht alle Schülerinnen und Schüler, die Nachhilfe bräuchten, können sich diese auch leisten. Zum anderen will er gar kein „Influencer“ im Sinne der Definition sein. Das Engagement des Rektors einer Uelsener Oberschule und der Bedarf an seinem YouTube-Kanal „LehrerSchmidt“ spiegelt sich nicht nur in den mittlerweile mehr als eine Millionen Kanalabonnent(innen) wider, sondern auch in den Gesprächsthemen bei unserem Interview mit ihm.
Schmidt wurde im Laufe der Jahre bereits für zahlreiche Preise nominiert. Dazu zählen eine Nominierung bei der goldenen Henne in der Kategorie „Online-Stars“ sowie eine Nominierung bei der goldenen Kamera in der Kategorie „Best of Education“. Überdies ist Kai Schmidt Botschafter bei der Stiftung Rechnen. Schnell stellt sich die Frage, was man in dieser Hinsicht von dem Pädagogen in Zukunft noch erwarten darf?
„Es war nie mein Ziel so viele Abonnenten zu bekommen. Es ist einfach passiert! Eigentlich waren die Videos ausschließlich für meine eigenen Schülerinnen und Schüler gedacht“, erinnert sich der Pädagoge. „10.000 Abonnenten wirkten unerreichbar und die 100.000-Marke war völlig utopisch“, so Schmidt, der mittlerweile über eine Millionen Abonnentinnen und Abonnenten mit seinem Mathematikwissen erreicht. „Ich freue mich natürlich riesig darüber, dass ich Mathematik auf diese Weise vermitteln kann. Ich hätte nie gedacht, dass sich das deutschlandweit verteilt und das Feedback ist unglaublich positiv.“, betont er.
„Ein gewisses Ablaufdatum“
LehrerSchmidt berichtet von den Anfängen seines Engagements. Aus Speicherplatzgründen habe ihm ein Schüler zur Video-Plattform YouTube geraten. Schmidt fuchste sich in das Thema und produzierte erste Videos. Dank eines gewissen Charmes und mithilfe bildhafter Erklärungen wurden die ersten, noch verdeckten, Links zu den Mathe-Videos des Lehrers unter den eigenen Schülerinnen und Schülern zum Renner – auch wenn Schmidt da noch gar nichts von „Share-Buttons“ wusste. Die Schülerinnen und Schüler teilten die Links einfach untereinander und diskutierten die Inhalte der Videos auf dem Schulhof. „Schnell hatten die Videos mehr Besucher als ich Schülerinnen und Schüler in der Klasse“, berichtet Schmidt.
Trotz seines anhaltenden Social Media-Erfolgs hat Schmidt nie darüber nachgedacht, das Lehrerdasein aufzugeben. „Ich bin so ein richtiger Vollblut-Lehrer“, schmunzelt er bei diesem Thema und entgegnet: „Ich habe mich bewusst dafür entschieden, Lehrer zu werden. Das ist mein Job und das möchte ich bis zur Rente machen.“ So ein Hobby sei eben nett, „aber mir ist auch klar, dass das ein gewisses Ablaufdatum hat und irgendwann vorbei ist. Ich bin ein richtiger Schultyp und da gehöre ich auch hin.“ So unterhalten wir uns mit Schmidt auch über aktuelle Themen aus der Schule.
Ein neuer Schul-Alltag
Die Corona-Pandemie hat den Bildungssektor verändert – das kann auch Kai Schmidt aus seinen täglichen Erfahrungen bestätigen. In den vergangenen anderthalb Jahren seien viele Erkenntnisse gemacht worden, doch die großen Herausforderungen scheinen für ihn präsenter als das bisher Erreichte und liegen noch vor uns. Demnach benötige das deutsche Bildungssystem in erster Linie weitaus mehr Geld und Personal. „Ich habe die Hoffnung, dass der Weg der jetzt in der Digitalisierung beschritten wird, mit demselben Tempo und Schwung gehalten wird und weiterhin in dieses Thema investiert wird“, wünscht er sich.
Vor-Ort-Lösungen seien dabei seiner Meinung nach nicht immer der richtige Weg. Vielmehr wünscht sich LehrerSchmidt „große Lösungen“, bei denen es ihm um den Austausch von Ideen geht: „Ich muss vor Ort nicht immer alles selbst entwickeln. Wenn die in Diepholz oder Braunschweig oder sonst wo eine tolle Idee haben, dann will ich mich darauf verlassen, dass das was die da entwickelt haben auch bei mir funktioniert, wenn auch mit kleineren Anpassungen.“, so Schmidt.
Die Sache mit dem Mehrwert
Infolge der Zeiten von Hybrid- bis Wechselunterricht stellt LehrerSchmidt offen die Frage, wie der Schulalltag nach der Pandemie aussehen könnte? „Ehrlich gesagt hoffe ich, dass es nach Corona nicht so wird wie vor Corona, dass wir diese ganze Energie, diese neuen Ideen, Ansätze und Möglichkeiten wirklich auch mitnehmen und es am Ende nicht nur eine Überbrückungshilfe war, um diese schwierige Zeit zu überbrücken und wir hinterher so weiter machen“, konkretisiert der Oberschulrektor. „Ich glaube, ganz viele von uns haben Möglichkeiten erkannt, die wirklich gut funktionieren!“
Möglichkeiten wie Hybridunterricht, die Unterrichtseinbindung von Schülerinnen und Schülern von außerhalb des Schulgeländes und das Einsammeln von digitalen Hausaufgaben dürfe seiner Meinung nach gerne beibehalten werden. „Jetzt wo wir das alles ad hoc eingeführt haben, wäre es doch auch irgendwie schade, wenn wir es nicht mehr nutzen würden.“ Einen Weg des Miteinanders zu finden, bei welchem sich die Vorteile des Präsenzunterrichts mit denen des Digitalunterrichts bündeln ließen, „das hätte einen Mehrwert“, betont Schmidt.
Ein Appell an die Politik
Abgesehen von den technischen und infrastrukturellen Herausforderungen, vor denen die Schulen und Gemeinden stünden, seien es ebenso die sozialen und emotionalen Herausforderungen, die sich bei den Lehrkräften sowie den Schülerinnen und Schülern erkennbar machen. „Ständiger Optimismus und Motivation sind nicht immer einfach, wenn es viele Stellschrauben gibt, an denen man derzeit zeitgleich drehen muss“, erläutert LehrerSchmidt und richtet seinen Appell an die Politik.
Dabei erwähnt er den ganz konkreten Wunsch einer Aufgabenverteilung: „Eltern kümmern sich, bei Bedarf mit staatlicher Unterstützung, um die Bereitstellung eines funktionierenden digitalen Endgerätes und einen Internetanschluss. Der Staat stellt eine sichere Lern- und Kommunikationsplattform für alle Schüler(innen) und Eltern zur Verfügung. Diese Plattform müsste modular gestaltet werden, so dass Schulen die passenden Module für ihre Schülerinnen und Schüler aktivieren oder deaktivieren können.“
Für ihn sei ebenso selbstverständlich, dass alle Schulen einen Glasfaseranschluss haben. Bildungseinrichtungen sollten demzufolge generell ein freies WLAN haben: „Wir sollten den Zugang zum Internet nicht begrenzen, sondern Kinder dazu befähigen, das Internet vernünftig zu benutzen!“ So wie Kai Schmidt mit seinen Mathe-Nachhilfe-Videos, die in der ganzen Republik Akzeptanz finden – ganz ohne die Attitüde eines Influencer.