»Die Kommunikation mit den Eltern ist ein wichtiges Thema«
Matthias Stegmaier: Vincent, kurz nachdem du 2019 an unsere Grundschule gekommen bist, begann die Corona-Zeit. Wie hast du diese besondere Zeit erlebt?
Vincent Nickelé: Das war wirklich eine turbulente Anfangszeit. Wir hatten zuerst den Lockdown, danach Szenario B mit Wechselunterricht sowie täglichem »Schichtwechsel« und nach den Sommerferien 2020 wieder Präsenzunterricht mit allen. Im Schuljahr 2020/2021 erfolgte abhängig von den Inzidenzzahlen immer wieder der Wechsel zwischen den Szenarien A, B und C.
Das Kollegium hat es mir wirklich leicht gemacht. Ich wurde herzlich von allen im Team aufgenommen. Wir Lehrkräfte waren zu Beginn der Pandemie besonders gefordert. Da war auch von mir persönlich sehr viel Anpassungsfähigkeit nötig. Sehr hilfreich waren dabei meine »digitalen Fähigkeiten«. Die habe ich vorher immer als »normal« angesehen. Einige meiner neuen Kolleginnen und Kollegen waren jedoch sehr dankbar dafür, dass ich die insbesondere zu Beginn der Pandemie an sie weitergeben konnte. Wir haben uns als Team gut ergänzt und unterstützt.
Am verrücktesten fand ich den direkt einsetzenden Online-Sportunterricht über IServ. Da habe ich mich ein bisschen gefühlt wie so ein Fitness-Animateur aus einer dieser »Ich-mach-dich-schlank-Apps«. Ich durfte den Kindern von meinem Wohnzimmer aus beibringen, wie man beispielsweise eine korrekte Vorwärtsrolle durchführt. Bei dem einen oder anderen Workout vor der Kamera konnte man hin und wieder im Hintergrund sogar die Eltern stöhnen hören. Einmal habe ich sogar lachend einen Vater gedrillt, er solle noch tiefer in die Streckung gehen. Bei den Kleinen kam dieses Format super an. Und wie hast du diese turbulente Zeit erlebt?
Matthias: Ich fand vor allem toll, wie wir voneinander lernen und profitieren konnten: Digitale Tipps und Best-Practice-Ideen im Tausch gegen methodische und didaktische Erfahrungen. Im Sommer 2020 wurde im Zuge der Digitaloffensive des Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands e. V. Braunschweig »Mutig. Digital.« allen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften zur Sofortausstattung ein iPad zur Verfügung gestellt. So waren wir für alle corona-bedingten Eventualitäten bestens gerüstet. Für den Einsatz der digitalen Endgeräte gab es spezielle Schulungen. Im Sommer 2021 folgten die interaktiven digitalen Tafeln, die man gut mit den iPads synchronisieren kann und somit viel mehr Möglichkeiten im Unterricht zur Verfügung hat.
Vincent: Da fällt mir direkt ein konkretes Unterrichtsbeispiel aus der kosmischen Erziehung von Montessori ein. Vor kurzem haben unsere Schülerinnen und Schüler Präsentationen zum Thema Frühblüher erstellt. Optional durften sie dabei zwischen analogen Medien, in Form von Plakaten, und digitalen Keynote-Präsentationen wählen. Die Plakate konnten mit Magneten am Whiteboard befestigt werden, während die Präsentationen mithilfe der digitalen Smartboards dargestellt wurden. Die Schülerinnen und Schüler beherrschen den Umgang mit den digitalen Medien nun schon teilweise besser als ihre Eltern. So wurde es mir zumindest von einigen der Eltern mitgeteilt. Diejenigen, deren Präsentationen nicht eingesehen werden konnten, haben einfach ihre Präsentationen abfotografiert oder als Keynote-Präsentation in das Aufgabenmodul in IServ hochgeladen.
Matthias: Passend dazu fällt mir auch eine Anekdote ein. Ein Schüler war aus gesundheitlichen Gründen vorsorglich längere Zeit im Homeschooling und hat sein Mathematik-Referat per IServ-Videokonferenz von zuhause aus präsentiert und uns somit gleichzeitig digital in der Schule vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler in der Schule konnten anschließend drei Fragen stellen. Diese wurden ebenfalls in der Videokonferenz digital beantwortet. Besonders schön war, dass der Schüler auf diese Weise seine ganzen Schulfreunde endlich wiedersehen konnte.
Vincent: Das klingt nach einer aktiven Mitgestaltung und Unterstützung. Wie erlebst du sonst die Kooperation mit den Eltern?
Matthias: Die Kommunikation mit den Eltern war und ist bei uns ein wichtiges Thema: Einige Eltern wünschen sich viel mehr Digitales. Ein Vater regte an, die klassische Schreibschrift abzuschaffen, da er sie als antiquiert erachtet. Stattdessen hätte er sehr gerne das Zehnfingertippen als Kompetenz auf dem Lehrplan der Grundschule gesehen.
Andere Eltern begrenzen dagegen daheim ganz bewusst den »digitalen Konsum« ihrer Kinder und wünschen sich, dass wir als eine an Montessori orientierte Schule auch reduziert mit digitalen Medien arbeiten. Meiner Ansicht nach haben wir einen guten Kompromiss gefunden und Ideen entwickelt, bei denen die Medien das analoge Lernen in erster Linie ergänzen.
Vincent: Dazu fällt mir ein konkretes Beispiel ein. Eine Erstklässlerin tat sich mit dem Lesen schwer. Daraufhin bat ich das Kind, zuhause regelmäßig laut zu lesen. Nach einem Elterngespräch mit einer 1:1-Erklärung, wie das Kind dabei vorgehen könne, begleiteten die Eltern den Lernprozess und brachten dem Kind bei, wie es mit dem iPad Tonaufnahmen beim Vorlesen machen kann und wie es diese verschickt. Vier Wochen lang konnte ich den Gute-Nacht-Geschichten des Kindes zuhören, dadurch verbesserte sich die Lesefähigkeit der Schülerin merklich.
Matthias: Das ist eine starke Ergänzung zum Programm »Antolin«, das wir seit über 20 Jahren nutzen. Für viele Kinder ist es zum Ritual geworden. Sie lesen ein Buch und geben es direkt danach bei Antolin ein, beantworten einige Fragen und gehen so auf Punktejagd. Das wirkt auch sehr motivierend und sorgt in jedem Schuljahr für einen spannenden Wettbewerb an unserer Schule: Welches Kind und welche Klasse sammelt die meisten Punkte bei Antolin und »Zahlenzorro«? Wenn die Siegerinnen und Sieger ermittelt werden, ist da eine Stimmung wie im Fußball-Stadion.
Vincent: Das hört sich alles durchweg positiv an. Gibt es auch Digitalthemen, die du schwierig findest?
Matthias: Wie überall gibt es neben den Chancen auch Risiken und Nebenwirkungen. Es gibt beispielsweise Kinder, die ihre Kennwörter, iPad oder Ladekabel vergessen oder mit den Geräten unsachgemäß umgehen. Wenn manche Schülerinnen und Schüler sich eher anderweitig mit dem digitalen Endgerät beschäftigen, zeigen sie uns damit auch, dass ein sicherer und konstruktiver Rahmen geschaffen und fortwährend von uns geprüft werden muss.
Vincent: Auf der anderen Seite gibt es auch attraktive Lernplattformen, wie »ALFONS« vom Westermann Verlag. In den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch können tausende von Aufgaben individuell zugewiesen werden, sodass die Schülerinnen und Schüler spielend dort abgeholt werden können, wo sie fachlich stehen. Ich nutze auch gerne »Quizlet« im Unterricht, um die Lernsets, die ich den Kindern als Lernaufgabe mitgegeben habe, spielerisch und kooperativ in Teams zu überprüfen. Durch solche Apps entwickeln die Kinder einen Ehrgeiz im Lernen, der durch ein normales Vokabelheft nicht gegeben ist. Ob man nun die 10.8 Sekunden seines besten Freundes im »Zuordnen« knackt oder beim Testen eine Quote von 100 Prozent erreicht – da bieten sich plötzlich viel mehr Möglichkeiten, dieselben Inhalte zu wiederholen.
Matthias: Welche digitalen Perspektiven sind für dich attraktiv und was möchtest du gerne noch umsetzen?
Vincent: Mir gefällt das Format »Digitales Lernnetzwerk« besonders gut, weil die Kinder hier untereinander wunderbar kommunizieren können und das Lernen für die gesamte Lerngruppe transparent und motivierend dargestellt wird. Auch soziale Themen wie Streit und Versöhnung oder Cybermobbing können dabei exemplarisch aufgearbeitet und begleitet werden. Hier gibt es jedoch Datenschutzthemen, die vor der konkreten Nutzung noch geklärt werden müssten. Ich persönlich freue mich darauf, die modernen digitalen Chancen und Möglichkeiten mit unserem Team weiter zu entwickeln.