Eine kurze Definition
Unterrichtsstörung ist nicht gleich Unterrichtsstörung. Sie kann sehr unterschiedlich auftreten und aus grundverschiedenen Intensionen heraus entstehen. Eine punktgenaue Definition für den Begriff »Unterrichtsstörung« fällt wohl auch deshalb so schwer. Gert Lohmann, Fachdidaktischer Lehr- und Lernforscher an der Universität Oldenburg, definiert Unterrichtsstörungen als »Ereignisse, die den Lehr-Lern-Prozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren oder Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen.«
Ursachenforschung für Unterrichtsstörungen
Halten wir fest: Durch Unterrichtsstörungen wird Lehren und Lernen drastisch erschwert bis unmöglich. Diese Herausforderung kennen wir wohl alle auch aus eigener Erfahrung. In Zeiten der Digitalisierung hat sich daran nicht viel geändert. Oder vielleicht doch? Weil »soziales Lernen« in Zeiten des Distanzunterrichts nicht stattfinden konnte, entstand die Erkenntnis, dass man viel mehr schafft, wenn die Ablenkungen des regulären Unterrichts kaum oder nur begrenzt vorhanden sind. »Schüler äußern zuweilen den Wunsch, sich nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht umsetzen zu dürfen, weil sie ohne ihre bisherige Sitznachbarin oder ihren bisherigen Sitznachbar besser und aufmerksamer lernen würden«, berichtete zum Beispiel der Lehrer Oliver Kracke im Gespräch mit Just School, noch während der ersten Hochphase der Corona-Pandemie.
Digital oder Kreidetafel: Nach wie vor ist es der Umgang mit der Störung, der ein essenzieller Ansatz für deren Behebung sein kann. Hierbei stehen die Ermittlungen der Ursachen an vorderster Stelle. Sind sie bekannt, findet sich auch schneller eine Lösung. Oftmals scheint es im ersten Moment so, als könnten Unruhen im Unterricht nur durch die Schülerinnen und Schüler entstehen. Doch weit gefehlt, bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass Unterrichtsstörungen noch ganz andere Ursachen haben können.
Störungsquelle Schülerin und Schüler:
Einer Empfehlungsliste des Schulbuchverlages Cornelsen zufolge unterteilen sich von Schülerinnen und Schülern ausgehende Unterrichtsstörungen in vier Arten: Akustische Unterrichtsstörungen, motorische Unruhen, aggressives Verhalten und die Verweigerung der Mitarbeit. Die Ursachen für derartige Verhaltensweisen können ganz unterschiedlicher Natur sein. Fühlen sich Schülerinnen und Schüler beispielsweise über- oder unterfordert, steigen sie gedanklich aus dem Unterricht aus. Ebenso können individuelle Gründe, wie die persönliche Einstellung gegenüber einem bestimmten Fach, einer bestimmten Lehrkraft oder sogar die persönliche Gefühlslage (Stichwort: Pubertät) dazu beitragen, dass die Betroffenen sich im Unterricht eher zurückziehen oder in ihrem Verhalten störend auftreten.
Störungsquelle Lehrkraft:
Lehrkräfte können ebenso wie Schülerinnen und Schüler zu Unterrichtsstörungen beitragen. Signifikante Verhaltensweisen wie Unfairness, Inkonsequenz oder sogar die Unterrichtsstruktur selbst können dazu führen, dass in einem Klassenverbund Unruhe entsteht. Schlecht vorbereiteter Unterricht, unpassende Medien oder Methoden tragen dazu bei. Ebenso kann unsicheres Verhalten bei einer Lehrkraft im Umgang mit der genutzten Software oder den digitalen Geräten dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler die Situation nicht ernst nehmen und sich anderweitig beschäftigen.
Störungsquelle Schule (als Institution):
Neben den bereits angesprochenen Ursachen können auch simple Faktoren, wie die Klassengröße, die Klassengestaltungen, der Stundenplan oder die Klassenzusammensetzung und viele weitere Gründe dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Konzentration oder ihre Motivation verlieren, aktiv am Unterricht teilzunehmen.
Störungsquellen Umwelt und Gesellschaft:
Umweltfaktoren wie zum Beispiel Lärm oder Hitze führen ebenfalls dazu, dass die aktive und gewünschte Teilnahme der Schülerinnen und Schüler gestört werden kann. Zusätzlich zu den Umweltfaktoren spielen auch gesellschaftliche Faktoren, wie das soziale Umfeld und die Erziehung eines Kindes, eine ausschlaggebende Rolle für dessen Verhalten.
Während das Kind in der einen Familie die volle Unterstützung bei den Schulaufgaben erhält, können andere Kinder aus den verschiedensten Gründen von ihren Eltern keine Hilfe dafür erwarten. In der Pandemie und der daraus folgenden Homeschooling-Situation wurde dieser Aspekt noch verstärkt. Gerade Kinder aus sogenannten sozial schwächeren Haushalten standen nun vor der besonderen Herausforderung fehlender Endgeräte und elterlicher Unterstützung, was schlimmstenfalls dazu beigetragen hat, dass sich diese Kinder abgehängt fühlen und gedanklich aus dem Unterricht aussteigen.
Tipps zur Vermeidung von Unterrichtsstörungen
1: Gute Klassen- und Lehrerdynamik schaffen
Eine funktionierende Klassengemeinschaft charakterisiert, dass sich alle Involvierten darin aufgenommen fühlen. Umso wichtiger ist es, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl durch Aktivitäten oder Projekte gefördert wird. Die Lehrkraft sollte hierbei durch ein respektvolles, freundliches und höfliches Verhalten dazu beitragen können, die Lehrer-Klassen Beziehung zu fördern.
2: Regeln und Verhaltensweisen festlegen
Klare Regeln und unmissverständliche Richtlinien sind wichtig, egal ob in Präsenz- oder Distanzunterricht. Im Online-Unterricht kann das Stummschalten der Schülerinnen und Schüler zu Beginn einer Videokonferenz allerdings die beste Vorgehensweise sein, um störungsfrei den Plan für die kommende Unterrichtsstunde vorstellen und die Klasse begrüßen zu können. Wie im Präsenzunterricht die Hand für eine Wortmeldung gehoben werden muss, gilt diese Etikette auch für den digitalen Unterricht. Mittlerweile bieten fast alle Tools dies mit der Option »Hand heben«.
Grundsätzlich sollte für alle Beteiligten klar sein, welche Regeln in den verschiedenen Szenarien gelten und anzuwenden sind. Sollte dies nicht bei allen Schülerinnen und Schülern der Klasse der Fall sein, kann die Lehrkraft grundsätzliche Regeln und Richtlinien bei einem Fehlverhalten gemeinsam mit der Klasse besprechen oder sogar dokumentieren.
3: Vorbereitung ist das A und O
Bei den Ursachsen haben wir bereits die Probleme thematisiert, die mit einer fehlenden Unterrichtsstruktur einhergehen können. Schülerinnen und Schüler, die den roten Faden in der Unterrichtsstunde nicht erkennen können kommen vielleicht gedanklich nicht mit und beschäftigen sich plötzlich mit ganz anderen Themen. Wichtig ist hierbei, dass die Arbeitsabläufe klar und deutlich strukturiert sind. Vorbereitete Arbeitsblätter mit einer eindeutigen Aufgabenstellung gehören für die Lehrkraft zur Unterrichtsvorbereitung. Eine Zeitvorgabe für die Aufgabenstellung kann dabei ebenso hilfreich sein wie eine Folgeaufgabe für Schülerinnen und Schüler die schneller fertig werden als andere, die noch mit der Aufgabenstellung beschäftigt sind.
Die Anforderungen für die Lehrkräfte an die Unterrichtsvorbereitung sind mit digitalem Unterricht noch einmal gestiegen. Vor allem dann, wenn die genutzte Software noch nicht so flüssig von der Hand geht. Hier bietet es sich an, sich vorab mit den Programmen auseinanderzusetzen und bei Fragen auf die Kolleginnen oder Kollegen in einer Admin-Funktion zuzugehen. In den allermeisten Fällen liegen dort auch digitale Materialien wie Erklärvideos oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen vor.
4: Abwechslungsreiche Unterrichtsmethoden
Unterricht ist manchmal auch ein bisschen wie ein Glücksspiel. Während Frontalunterricht bei der einen Klasse hervorragend funktioniert, kann diese Art der Wissensvermittlung bei einer anderen Klasse fehl am Platz sein. Schülerinnen und Schüler könnten schnell die Chance ergreifen, Dinge zu tun die mit ihrem eigentlichen Arbeitsauftrag nichts zu tun haben. Eine aktive Einbindung kann hier Wunder wirken, um auch den Fokus auf die Lehrkraft zu vermeiden.
Mit Stationslernen, Partnerarbeiten, kollaborativen Gruppenarbeiten oder Projekten können Schülerinnen und Schüler gemeinsam Aufgaben erarbeiten und sich gegenseitig unterstützten. Die Lehrkraft nimmt in dieser Situation eher eine beobachtende oder unterstützende Funktion ein und kann die Fortschritte einer Gruppe bewerten und mit denen einer anderen vergleichen. Zusätzlich kann die Ankündigung einer Ergebnisbewertung das zielgerichtete Arbeiten der Schülerinnen und Schüler fördern.
5: Reflektion
Zu wissen, was man tut ist in jeder Lebenslage von Vorteil. Auch im Unterricht gilt es, die Aufgaben, die Methoden sowie das Verhalten und die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler zu reflektieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen kann für die Lehrkraft dabei ebenfalls hilfreich sein, um die gewonnen Erkenntnisse zu vergleichen und sich Tipps einzuholen.
Schlussgedanken und Fazit
Unterrichtsstörungen tragen als wesentlicher Faktor dazu bei, dass der geplante Unterricht nur schleppend oder schlimmstenfalls gar nicht durchgeführt werden kann. Nicht nur Lehrkräfte, sondern auch die Schülerinnen und Schüler können davon genervt sein.
Umso wichtiger ist es für die Lehrkraft, den richtigen Umgang mit Unterrichtsstörungen zu finden. Eine Patentlösung gibt es hier nicht, weil die Ursachen ebenso wie die Ausprägungen sehr unterschiedlicher Natur sein können. Aus diesem Grund bleibt es die große Herausforderung für die Lehrenden, sich kontinuierlich mit diesem Problem auseinanderzusetzen und es ernst zu nehmen.
Unterrichtsstörungen sind nicht unvermeidbar, aus jeder gewonnenen Erfahrung im Schulalltag ergeben sich jedoch neue Ideen und Herangehensweisen, um das Problem zu bewältigen. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen oder sogar den Eltern der Kinder können hier sehr hilfreich sein und neue Impulse geben.