Mirko, viele Schüler(innen) recherchieren für Arbeiten auf YouTube. Haben sie keine Lust mehr zu lesen? Ich denke schon, dass sie Lust haben zu lesen. Aber das ist immer auch eine Typfrage. Ich selbst bin eher der audio-visuelle Typ. Ich lerne gerne mit Videos oder Hörbüchern, Podcasts und vielem mehr. YouTube ist einfach eine Ergänzung zu dem Lernportfolio, das es sowieso schon gibt. Und dann ist sicherlich noch entscheidend, dass die Inhalte bei YouTube auf einer Plattform stattfinden, die man auch privat für die Unterhaltung nutzt. Darum sehen wir uns quasi Lernvideos nebenbei an und verbinden es mit anderen Aktivitäten. Das ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren von YouTube.
Du hast zwei Kanäle: MrWissen2go und MrWissen2go Geschichte. Wieso eigentlich? Ich habe gemerkt, dass es einen Unterschied im Interesse der Leute gibt, die sich die Videos angucken. Die einen interessieren sich für aktuelles Geschehen, für Politik, aber nicht zwangsläufig für Geschichte. Andersrum genauso. Beides auf einem Kanal zu machen, hat nicht so viel Sinn ergeben.
Du hast auf beiden Kanälen über 1.500 Videos. Und für Terra X produzierst Du auch noch. Wie schaffst Du das? Mit einer intensiven Planung – aber auch mit Leuten, die mitarbeiten. MrWissen2go ist immer noch ein Kanal, den ich zu großen Teilen allein mache. Es gibt drei oder vier reguläre Videos pro Monat. Die erstelle ich nach wie vor selbst. Ich recherchiere selbst, schreibe die Skripte selbst, nehme selbst auf. Und dann habe ich Leute, die die Produktion übernehmen. Außerdem gibt es ein dokumentarisches Video aus der Reihe MrWissen2go EXKLUSIV pro Monat. Hierfür habe ich ein eigenes, auch redaktionelles Team.
MrWissen2go Geschichte ist etwas anderes, da ist die Redaktion größer. Es gibt ein festes Autorenteam, das die Skripte schreibt. Das geschieht im Austausch. Ähnlich ist es bei Terra X : Da freue ich mich einfach, mit ganz tollen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, die die Inhalte dann mit mir zusammen erstellen – sowohl in der Redaktion als auch in der Produktion.
Während der Pandemie haben sehr viele Lehrkräfte auf YouTube zurückgegriffen. Kannst Du das bestätigen? Ja, ich kann das absolut bestätigen. Die Zugriffszahlen, gerade bei MrWissen2go Geschichte, sind enorm angestiegen – insbesondere in den ersten Phasen der Pandemie. Das war schon auffällig.
Welche Chancen und Risiken siehst Du für »Schule«? Ich sehe eine große Chance darin, dass jetzt die Hemmschwelle niedriger geworden ist – und vielleicht auch die Distanz etwas kleiner, die viele Lehrerinnen und Lehrer bisher noch zu YouTube hatten. Risiken sind natürlich, dass YouTube zum einen übermäßig eingesetzt wird. Zum anderen aber auch, dass sich Schülerinnen und Schüler Inhalte angucken, die eigentlich überhaupt nicht geeignet sind, weil sie falsch sind, manipulieren oder vieles mehr. Genau da ist »Schule« gefragt. Ich bin ein starker Befürworter eines Unterrichtsfachs »Medien« oder »Medienpädagogik«. Das könnte genau diese Inhalte rüberbringen.
Wie kann YouTube Lehrkräfte entlasten? YouTube kann die Lehrkräfte dabei entlasten, einen Einstieg in ein Thema zu gestalten, einen Ausstieg oder eine Zusammenfassung. Das sollte aber kein Substitut für Unterricht sein. Ähnlich, wie das auch bei Filmen oder Dokumentationen nicht der Fall sein sollte.
In Deiner Kanal-Info steht: »Bitte schickt mir keine Fragen mehr zu Hausaufgaben … – ich bekomme pro Tag einfach zu viele Mails, als dass ich alles beantworten könnte.« Wie viele bekommst Du trotzdem noch? E-Mails tatsächlich relativ wenige – da hat dieser Hinweis geholfen. Das sind vielleicht noch fünf oder sechs pro Woche. Aber auf meinem privaten Instagram-Account bekomme ich sehr viele Nachrichten. Gerade in Hochphasen der mündlichen oder schriftlichen Prüfungen sind das schon mal zehn oder zwanzig am Tag. Manchmal ganz geschickt verpackt: »Ach, mich hat schon immer mal interessiert, warum die Französische Revolution ausgebrochen ist …«
Manchmal auch ganz plump: »Ich muss ne Hausaufgabe machen zu diesem Thema. Kannst Du mir da was zu sagen?«
Viele Jugendliche kommentieren Videos. So viel Interaktion würde man eher auf Instagram und Co. erwarten – nicht bei YouTube. Geht Dir das auch so? Ja und nein. Für mich war es anfangs sehr erstaunlich, wie viele Leute Videos kommentieren – und wie schnell das geht. Inzwischen hat man sich ein Stück weit daran gewöhnt. Und ehrlich gesagt ist das für mich auch essenziell. Ich finde es ganz wichtig, permanent über Kommentare evaluiert zu werden.
Was mich aber auch heute noch überrascht, ist die Qualität der Kommentare. Klar, da ist auch einiges an Schrott dabei. Aber es gibt immer wieder sehr tiefgehende Diskussionen. Debatten, die in den Kommentaren auf einer sehr sachlichen Ebene geführt werden. Das freut mich. Genau das ist eines meiner Ziele: dazu beizutragen, dass Leute sich eine Meinung bilden können – natürlich so unvoreingenommen wie möglich. Dazu anzuregen, sich auszutauschen und zu diskutieren. Denn das macht unsere Demokratie aus: der Austausch verschiedener Standpunkte auf einer sachlichen Ebene.
Wie gehst Du mit Hatern um? Löschst Du Kommentare? Wenn andere beleidigt werden, gehe ich dazwischen – natürlich auch, wenn Straftaten begangen werden: Volksverhetzung und anderes. Das wird gelöscht und gemeldet. YouTube hat inzwischen aber auch einen starken Filter. Der siebt das meiste aus, sodass man hier gar nicht mehr so aktiv sein muss.
Kommentare, die mich betreffen und in denen ich beleidigt werde, lasse ich stehen. Ich versuche, das einfach nicht so sehr an mich heranzulassen. Was mich trifft: Wenn mir jemand Dinge unterstellt, die einfach nicht stimmen. Dass ich Leute manipulieren will oder anderes. Hier versuche ich, möglichst sachlich dagegen zu gehen. Manchmal muss man aber auch einfach Dinge schlucken. Dont’t feed the troll – das ist wirklich ein wichtiges Prinzip.
Bekommst Du auch Feedback von Lehrkräften? Ja. Am Anfang war meine große Sorge, dass ich lauter Hassmails von Lehrkräften bekomme, die sagen: »Was denkst Du Dir, dass Du das besser kannst?« Aber das ist nicht der Fall. Wenn sich Lehrerinnen und Lehrer melden, dann sehr häufig mit netten Kommentaren. Manchmal auch mit Anregungen oder Feedback. Und mit Einladungen an Schulen, was mich immer sehr freut. Wenn es sich einrichten lässt, nehme ich sie gerne an. Der Austausch mit Lehrkräften ist für mich wichtig: Sie sind besonders nah an Schülerinnen und Schülern dran.
Was würdest Du sagen, wenn Deine Kinder YouTuber werden wollen? Tja, ich würde ihnen erst einmal nicht im Weg stehen. Das hängt aber auch vom Alter ab. Mit elf oder zwölf wäre ich da noch zurückhaltend. Wenn sie dann mal 15 oder 16 sind – warum nicht. Ich würde gemeinsam mit ihnen etwas entwickeln. Bevor das veröffentlicht wird, würde ich sie – und wirklich sie selbst – sehr kritisch drübergucken und dann entscheiden lassen, ob man das so in die Welt stellen sollte. Es ist ein spannendes Umfeld, das durchaus ein Arbeitsumfeld sein kann. Aber es muss betreut passieren, zumindest in der Anfangsphase, damit man da nicht Dinge macht, die man später bereut.