„Ein Angriff auf die Menschenwürde!“
Cyber-Mobbing gehört zu einer der zentralen Gefahren im Umgang mit dem Internet und den neuen Medien, basiert stets auf einem aggressiven Verhaltensmuster und richtet sich gezielt gegen einzelne Personen oder Personengruppen. Häufig sind es abwertende Bemerkungen, die sich im scheinbar „rechtsfreien Raum Internet“ gegen Herkunft, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Sexualität ihrer Opfer richten. Die oftmals menschenverachtenden Aussagen reichen dabei aber auch von Verleumdung, über Belästigung, Bedrängung und Nötigung bis hin zu Gewaltdrohungen. Der neue Hass im Netz hat viele hässliche Gesichter.
Das Fatale: Cyber-Mobbing ist in der modernen digitalen Welt präsenter denn je. Und doch gibt es auch im Herbst 2021 immer noch keine klare wissenschaftliche Definition dafür. „Cyber-Mobbing ist mehr ein politischer Oberbegriff, es gibt dazu viele Ansichten und keine klare Definition“, erklärt Medienexperte Falk-Martin Drescher im Rahmen des von der Funke Mediengruppe ins Leben gerufenen „Digital Days“ den aufmerksam lauschenden Schülerinnen und Schülern. Viele von ihnen hatten mit Sicherheit zumindest schon einmal Berührungspunkte mit Hass aus dem Netz. Eine Studie belegt, dass 1/3 aller Internetnutzer schon mindestens einmal eine Erfahrung mit Cyber-Mobbing gemacht haben. Unter den 14- bis 24-Jährigen sind es sogar 98 Prozent.
Es kann jeden treffen!
„Es gibt praktisch keine Bevölkerungsgruppe, die davor gefeit ist“, hebt Falk Drescher hervor und präzisiert: „Es ist ein Angriff auf die Menschenwürde. Behauptungen wie: ‚Das ist doch nicht so schlimm‘ sind falsch! Cyber-Mobbing verroht, schafft ein feindseliges Klima und senkt die Hemmschwelle für körperliche Gewalt. Und kann überall passieren, auch auf dem Schulhof, auf dem Fußballplatz oder in der Bar.“ Cyber-Mobbing sei eben nur so typisch für das Internet, weil dort die Hemmschwelle um ein Vielfaches niedriger sei und man sich in der vermeintlichen Anonymität verstecken könne.
„Es ist tatsächlich so, dass es sich über alle Klassenstufen, Schulformen und vor allem alle Bildungsgrade hinwegzieht“, berichtet Silke Müller. Die Rektorin der Waldschule Hatten hat im Laufe der letzten Jahre viele unschöne Erfahrungen mit dem Thema Cyber-Mobbing gesammelt. Die digitalaffine Pädagogin wand sich auf der Suche nach Antworten sogar an den Ethikrat und die Bundesministerin für Digitales Dorothea Bär. Während eine Antwort des Ethikrats bisher ausblieb, hat sich Bär tatsächlich bei ihr gemeldet. Hier soll in Kürze ein persönlicher Austausch stattfinden: „Es wäre schön sagen zu können, welche Schritte die Schulen beschreiten können, um die Kinder auf diese, sich wirklich extrem schnell verändernde Welt vorzubereiten“, so Müller.
Angst fressen Seele
Laut Silke Müller ist Cyber-Mobbing vor allem für die Kinder das Riesenproblem. „Das gab es auch schon vor den Sozialen Medien, bevor es in die Schulen eingezogen ist“, betont sie. Seinerzeit war es Mobbing, bei dem Kinder bloßgestellt, fertig gemacht wurden. „Das ist noch gar nicht so lange her“, erinnert sie sich.
Der Unterschied zu heute? „Die Kinder hatten immer die Möglichkeit einer Atempause. Wenn sie zum Beispiel nach Hause gegangen sind und sich einfach zwei Stunden heulend in ihr Kinderzimmer gelegt haben, dann war das wie ein kurzer Break. Das ist sicherlich nicht hilfreich für den Prozess, aber für die eigene Seele, um das mal kurz rauszulassen. Das kann man beim Cyber-Mobbing nicht mehr.“ Sicher, man könne das Handy ausschalten, „Aber ich weiß als Opfer ganz genau, dieser Drill und dieser Druck gegen mich laufen weiter 24/7.“ Das mache Cyber-Mobbing so gefährlich und zerbreche Seelen. „Und das holt man auch nicht so einfach zurück“, warnt die Schulleiterin.
Die Auswirkungen von Cyber-Mobbing können fatal sein. „Kinder verändern sich in ihrem Verhalten gegenüber anderen. Hemmschwellen der Aggression werden deutlich niedriger und der tolerante und respektvolle Umgang wird weniger“, hat Silke Müller beobachtet. Hier identifiziert sie noch eine weitere große Gefahr: „Cyber-Mobbing verändert nicht nur unsere Kinder, sondern unsere ganze Gesellschaft! Ich gehe sogar so weit zu sagen, es gefährdet unseren friedvollen demokratischen Zusammenhalt.“
Oftmals werden Kinder auf der anderen Seite auch zu Tätern, ohne sich darüber selbst im Klaren zu sein: „Die Kinder sind damit allein. Und wenn sie scheinbar alleine sind, dann schicken sie es weiter. Sie versuchen sich mitzuteilen, indem sie es verbreiten. Und dann ist ein Video auch in anderen Gruppen unterwegs. Der Weg zur Straftat ist kurz.
Handeln statt Schweigen – der Umgang mit Cyber-Mobbing
Ein Patentrezept, wie man Cyber-Mobbing begegnen sollte gibt es nicht. Hier sind vor allem gesunder Menschenverstand und Fingerspitzengefühl gefragt, um nicht die Situation eines Opfers noch unnötig zu verschlimmern. Wichtig ist, dass Eltern und Lehrkräfte zunächst einmal die Probleme der Kinder ernst nehmen und mit ihnen offen darüber reden.
„Es ist der allerbeste Schritt, dass auch wir Schulen die Türen offenhalten, dass Kinder uns überhaupt in ihre Welt hineinlassen und uns die Möglichkeit geben, mitzubekommen was überhaupt passiert“, entgegnet Silke Müller aus schulischer Perspektive und ergänzt: „Die Einzigen, die uns diese Türen öffnen können sind die Kinder selbst.“
Entschlossen gegen Hate Speech und Cyber-Mobbing vorzugehen und sich dagegen zu wehren, kann ein weiterer erster Schritt sein. Falk-Martin Drescher hat einen hilfreichen Tipp zur Art und Weise parat: „Love Speech, also positive Kommentare als Reaktion auf Hate Speech, finde ich einen super Trend“, rät er den Minderjährigen beim Funke Media Day. Auch die Stärke der Gemeinschaft kann ein wichtiger Kontrapunkt sein, zu zeigen: Niemand ist allein mit der Opferrolle.
Dabei kann die „IBM-Regel“ im Umgang mit Cyber-Mobbing hilfreich sein: „Ignorieren, Blockieren, Melden“, zählt Drescher auf. Der Weg zur Polizei und die Erstattung einer Anzeige seien je nach Art des Vorfalls ebenso nicht ausgeschlossen. „Viele Hate Speech-Aktionen fallen unter Straftaten und Bußgelder könnten die Folge sein“, erinnert Drescher noch einmal. Wichtig: Beweise in Form von Bildschirmfotos sollten immer gesichert werden. Nur eines sollte man niemals tun: Auf Hass mit Hass zu reagieren ist ganz sicher immer ein falscher Ansatz und erzeugt nur noch mehr Probleme.
Ist jemand aus deinem persönlichen Umfeld von Cyber-Mobbing oder Hate Speech betroffen? Biete deine aktive Hilfe an und stehe den Betroffenen bei. Zeige, dass niemand allein ist!